Multiple Elternschaft und familiale Vielfalt

Bereits die Zahlen der amtlichen Statistik machen deutlich, dass das verheiratete Paar mit (leiblichen) ledigen Kindern das Gros der Familien in Deutschland darstellt. Von über 18,9 Mio. ledigen Kindern lebten 2016 mehr als 13,7 Mio. Kinder mit ihren verheirateten Eltern zusammen. Die Eltern von ca. 1,4 Mio. Kindern lebten in einer Nichtehelichen Lebensgemeinschaft und waren somit nicht miteinander verheiratet. Weitere 3,8 Mio. Kinder lebten mit einem alleinerziehenden Elternteil in einem gemeinsamen Haushalt. Teil einer sog. Regenbogenfamilien – also einer Familie mit einem schwulen oder lesbischen Elternpaar – waren 14.000 Kinder (Quelle: Statistisches Bundesamt 2016: Seite 140). Die Frage, ob die Elternteile, die mit dem Kind zusammenleben auch tatsächlich die biologischen Eltern des Kindes sind, kann die amtliche Statistik nicht beantworten. Es ist aber davon auszugehen, dass auch heute noch die Mehrzahl der Kinder in Deutschland bei ihren beiden leiblichen Elternteilen aufwächst. Diese sind in der Regel auch für die Erziehung und Versorgung der Kinder verantwortlich (soziale Elternschaft) und verfügen gleichzeitig über die vollen Elternrechte dem Kind gegenüber (rechtliche Elternschaft).

Nichts desto trotz hat die Zahl an Familien, in denen die soziale und rechtliche Elternschaft nicht von den beiden leiblichen Elternteilen ausgeübt wird, in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Die Übernahme der Elternschaft von mehr als zwei Personen wird als multiple Elternschaft bezeichnet und führt zu einem komplexen Familiengefüge. Andere Begriffe hierfür sind „geteilte“ oder „fragmentierte“ Elternschaft, wobei alle den Sachverhalt des Auseinanderfallens der leiblichen, sozialen und rechtlichen Elternschaft beschreiben. Als Beispiele für Familienformen mit multipler Elternschaft können genannt werden: Stief- und Patchworkfamilien, Adoptivfamilien, Pflegefamilien, Regenbogenfamilien oder Familien, die nach reproduktionsmedizinischer Behandlung (mit Samen- oder Eizellspende) entstanden sind.  

Obwohl diese Familienformen meist nicht neu sind, hat sich doch ihr Entstehungszusammenhang in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Während zum Beispiel Stieffamilien früher in Folge von Verwitwung und Wiederheirat entstanden sind, sind heute Scheidungen und daran anschließende neue Partnerschaften für die Entstehung von Stieffamilien verantwortlich. Auch gesellschaftliche Wandlungsprozesse wie die Zunahme an liberalen Werten hinsichtlich alternativer Lebenskonzepte oder der reproduktionsmedizinische Fortschritt haben in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, dass die Zahl an Lebens- und Familienformen, die nicht mehr dem bürgerlichen Familienideal entsprechen, deutlich angestiegen sind. Diese Familien sind aufgrund ihres Entstehungshintergrundes und ihrer Zusammensetzung mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert, weisen aber auch Stärken und Chancen im Familienalltag auf. Das im Oktober 2017 erschienene Buch zu Familien mit multipler Elternschaft macht genau diese Familienformen mit ihrem Lebensalltag und den damit verbundenen Herausforderungen und Chancen zum Thema.

Fachkräfte in sozialen Berufen, aber auch in Personalabteilungen großer und mittelständischer Unternehmen haben tagtäglich mit den vielfältigsten Familienformen und deren Herausforderungen im Alltag zu tun. Mitarbeiter(innen) bei Kommunen oder freien Trägern sowie Fachkräfte in Beratungsstellen, in Kindertageseinrichtungen oder in Schulen sowie Personalreferenten in Wirtschaftsunternehmen sind daher nicht selten an Fortbildungsmaßnahmen interessiert, die sie auf die Arbeit mit dieser speziellen Zielgruppe vorbereiten. Die Anforderungen, die heute an sie in diesem Feld gestellt werden, sind vielschichtig und detailliert und bedürfen einer gezielten fachlichen Weiterentwicklung.

 

Literatur:

Statistisches Bundesamt (2016): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Haushalte und Familien, Ergebnisse des Mikrozensus, Fachserie 1, Reihe 3.